Welche Übungsdisziplin müssen wir aufbringen?
So wenig erfreuliche Klischees, wie der Begriff "Üben" zu wecken
vermag, so unerhört einfach ist die Konsequenz, die sich aus dessen Missachtung
ergibt: Ohne Fleiß kein Preis.
Diese Weisheit hat trotz aller Versuche der Kreativ- und Intuitionspädagogik
wenigstens in Bezug auf das Geigespielen leider seine Gültigkeit behalten. Geigespielen
ist nun mal keine Freizeitbeschäftigung wie Fußball oder Chorgesang, wo die
erforderliche Fertigkeit mit ein- oder zweimal wöchentlichem Training erreicht
werden kann. Das gute Violinspiel zu erlernen erfordert vielmehr den täglichen
Einsatz und die ähnliche Disziplin, wie sie auch in der Schule vorausgesetzt
werden. Hier wie dort wird letzlich nicht gefragt, ob man Lust auf Hausaufgaben
hat, sondern sie werden einfach gemacht. Als unumgängliche Konsequenz daraus
ergibt sich für meinen Unterricht, das notwendige tägliche Training ohne wenn
und aber durchzuführen. Einschlägige Erfahrungen zwingen mich dazu, diese Worte
hier vorauszuschicken.
Bis zur ungefähren Beherrschung der ersten Lage auf dem Griffbrett muß dafür
in der Summe mindestens eine halbe Stunde am Tag zur Verfügung stehen. Danach
wird es sicherlich mehr, da der geigerische Fortschritt mit einer halben Stunde
am Tag in der Regel nicht mehr zu schaffen ist. Bis hier sollte jedoch auch
die Motivation des Weiterkommens eingesetzt haben, die uns diese Zeit recht
schnell vertreiben wird.
Gerade in den Anfängen, wo sich das Erlernen der Elementartechniken noch recht
schwierig gestaltet müssen wir uns unsere tägliche Ubungszeit diszipliniert
vornehmen. Denn selbst wenn wir es uns täglich vornehmen wird es den ein oder
anderen Tag geben, an dem es nicht klappt oder die Unlust gar zu groß ist. Dagegen
ist dann bei ansonstem konsequenten Üben nichts einzuwenden. Allzuleicht vergehen
jedoch zwei, drei oder vier Tage hintereinander, an denen nicht geübt wurde
und damit ist beim durchschnittlich Veranlagten auf Dauer kein gutes Geigenspiel
zu erzielen. Ein Tag in der Woche sollte allerdings übungsfrei bleiben, jedoch
wird sich dies in den meisten Fällen aufgrund irgendwelcher Terminlichkeiten
ohnehin ergeben.
Außerdem sollten wir uns von der Vorstellung frei machen, das Üben müsse unbedingt
und allzeit Spaß bereiten. Gerade zu Anfang, wo wir noch rein garnichts können
darf gerne zugegeben werden, daß das disziplinierte Üben recht beschwerlich
ist. Das muß so sein, nicht nur aufgrund der bereits erwähnten anatomischen
Besonderheiten, sondern vor allem aufgrund der durch die ständig über der Herzlage
befindlichen Arme, rasch eintretenden körperlichen Ermüdung. Selbstverständlich
gönnen wir uns hierbei die notwendigen Ruhepausen um jedoch anschließend aufs
Neue zu probieren.
Denn gerade darin liegt das Problem der Motivation zum Geigespielen: Wir müssen
trotz der anfänglichen Anstrengung bestrebt sein, mit regelmäßigem Üben möglichst
schnell den Punkt des Nichtskönnens zu überwinden um dann mit der einsetzenden
Motivation des Gelingens zunehmend Freude am Geigenspiel zu entwickeln.
Die Beschäftigung mit der Geige sollte auf einen Teil des Tages entfallen, zu
dem wir die nötige Konzentration dafür aufbringen können. Sie darf auch nicht
zwischen Spielen und Fußballtraining noch notwendigerweise hineingedrängt werden.
Es ist wichtig, daß wenigstens zuvor eine Phase des Vorbereitens stattfindet,
in der wir in Ruhe die letzte Unterrichtsstunde Revue passieren lassen und uns
das Beachtenswerte davon ins Gedächtnis zurückrufen können. Sofern wir uns dazu
in der Lage sehen, ist es zu Anfang durchaus empfehlenswert, die gesamten Übungen
nicht auf einmal vorzunehmen, sondern auf den Tag zu verteilen und so der Ermüdung
vorzubeugen.
Beinahe jedes Kind wird während seiner Unterrichtszeit einmal Unlust verspüren
und das Üben aussetzen wollen. Dies ist vollkommen normal. Es kommt nun auf
das Kind drauf an, wie Sie damit umgehen. Sind sie sich sicher, daß es am nächsten
oder spätestens übernächsten Tag das Üben wieder regelmäßig aufnimmt, ist gegen
ein solches, gelegentliches Aussetzen noch nichts zu sagen. Gehört ihr Kind
jedoch zu der eher trägen Sorte, daß schnell eine Lustlosigkeit vorschiebt um
einer Unbequemlichkeit aus dem Weg zu gehen sollten Sie in der Lage sein, daß
Üben bei ihrem Kind durchzusetzen. Sie helfen ihm damit über die anfänglichen
Schwierigkeiten hinwegzukommen, denn Geigespielen zu lernen kann wie gesagt
im Anfang nicht immer und jederzeit Spaß machen, genau wie es in der Schule
schwer verdaulichen Unterrichtsstoff gibt der keinen Spaß macht. Es hilft jedoch
nichts; hier wie da muß das Kind darüber hinweg und das wird in der Schule nur
mit Hausaufgaben und bei uns nur mit dem Üben gehen.
Leider ist es bei den meisten von uns auch nicht so, daß, wer einmal Geigespielen
gelernt hat, zu irgendeinem Stadium seine Übungen abbrechen kann und das bis
hierhin Erlernte sein Leben lang parat hat. Vielmehr erfordert allein das Halten
eines bestimmten Niveaus ein regelmäßiges Training. Tut man es nicht waren viele
der früheren Stunden vergebens, denn allzu schnell verliert sich das für das
Geigespielen so unendlich wichtige Feingefühl in den Fingern und in den Armen
und das Ergebnis ist der leider oft zu hörende, unreine und schräge Mißklang,
dem das Geigespielen eines seiner weniger ehrenhaften Klischees verdankt.