Im Prinzip erst einmal jeder, der sich dafür interessiert, der die anatomischen MindestVoraussetzungen mitbringt (Vorhandensein, Koordination und Beweglichkeit aller zehn Finger) und in der Lage ist, unterschiedliche Tonhöhen von einander zu unterscheiden.
Obwohl ich mit meiner Lehrtätigkeit überwiegend Kinder und Jugendliche ansprechen will, sind auch Erwachsene bei richtiger Anleitung und konsequentem Üben durchaus in der Lage, auf der Geige spielen zu lernen. Sowohl hier, wie auch bei den Jugendlichen und Kindern gibt es jedoch Unterschiede und Einschränkungen, was die Erlernbarkeit des fortgeschrittenen Violinspiels anbetrifft. Zumindest eine einfache Liedmelodie sollte jedoch jedem gelingen, der bereit ist, das dazu notwendige Training aufzubringen.

Abgesehen davon, daß sich ohnehin erst nach einer Zeit des Versuchens zuverlässig herausstellt, in wieweit ein Schüler für das fortgeschrittene Geigenspiel geeignet ist, gibt es ein paar Kriterien, die den Erfolg wahrscheinlicher machen.

Im Prinzip läßt sich durch richtiges und ausdauerndes Üben zwar auch für den weniger begünstigten Schüler viel erreichen. Sofern dafür jedoch ein überproportional großer Übungsaufwand getrieben werden muß, möchte ich allerdings dem Schüler davon abraten. In der 1952 erschienenen Schule von Hugo Seling (pägagogischer Assistent von Carl Flesch) heißt es zu diesem Thema:

"Wem die bekannten Volks- und Kinderlieder nicht singbereit in der Kehle liegen, wer eingängige Melodien nicht mühelos behalten, einfache Rythmen nicht nachklopfen kann, wer schon in seinem ganzen Gehabe den Eindruck geistiger Schwerfälligkeit macht, ist für das Geigenspiel ungeeignet. Hier ist es Pflicht, ein kompromißloses Nein auszusprechen. Ein Lehrer, der die Hand dazu bietet, daß ein Kind in aussichtsloser Sache Energien einsetzt, handelt nicht nur unpädagogisch, sondern auch unmoralisch".

Diese harten Worte mögen uns in der heutigen Zeit der kreativen und inspirierenden Musikpädagogik überzogen erscheinen; man muß Sie jedoch aus der Sicht eines hervorragenden Hochschullehrers sehen, der zahlreiche namhafte Geiger hervorgebracht hat. Daher behalten sie sicherlich da ihre Gültigkeit, wo Geigespielen auf höherem Niveau anvisiert wird.
Wir wollen hier nicht ganz so streng sein. Der Weg zum Geiger läßt sich in verschiedene Niveaustufen unterteilen, wobei es für manchen durchaus befriedigend sein kann, das Geigenspiel lediglich bis zum Erklingen einer einfachen Liedmelodie zu betreiben. Im Zusamenspiel mit anderen Instrumenten lassen sich damit bereits faszinierende Klangeffekte bewirken.
Es ist also erst da, wo das Üben gegenüber dem Erreichbaren übertrieben nötig wäre und zu einer Belastung des täglichen Lebens führen würde, vom Geigespielen gänzlich abzuraten. Ein gewissenhafter Lehrer vorausgesetzt, ist es bei der überwiegenden Zahl der Geigenschüler heute jedoch eher das Problem mangelnder Übungsdisziplin, was das Erlernen des Geigenspiels zum Scheitern bringt, weshalb ich vor allem in solchen Fällen frühzeitig vom weiteren Unterricht abrate.

Die Frage, ab welchem Alter ein Kind mit dem Violinspiel beginnen sollte, ist mit "möglichst früh" zu beantworten. Ein Kind mit sechs Jahren ist bei entsprechender Reife durchaus in der Lage, sich musikalisch mit der Violine zu beschäftigen. Obwohl die Fortschritte in diesem Alter zwar geringer ausfallen als bei älteren und verständigeren Schülern ist es für das spätere Violinspiel jedoch von ungeheurem Vorteil, die noch nicht in alltägliche Greifkoordinationen eingefahrene, frühkindliche Hand für das Violinspiel zu formen. Selbstverständlich wird das sinnvolle Einstiegsalter individuell variieren, und von mir nach einer persönlichen Vorstellung beurteilt und empfohlen.