Unbestritten - es gibt Menschen, die die herausragende Gabe besitzen, ein beliebiges Werkzeug mit genau der Handhabung zu gebrauchen, die mit diesem Gerät zu einem optimalen Ergebnis führt. Drücken Sie solchermaßen begabten Leuten eine Geige in die Hand, werden Sie automatisch die günstigste und kräftesparenste Haltung annehmen, die für die Erzeugung eines idealen Klangbildes angebracht ist. Uns, diesbezüglich weniger begünstigten Kreaturen obliegt die Aufgabe, jede unserer geigerischen Bewegungen daraufhin zu analysieren, ob sie unserem anvisierten Klangbild zweckdienlich ist oder nicht. Den Anfang unseres Weges zum ambitionierten Geiger werden wir daher mit dem gewissenhaften Training elemantarer Bewegungstechniken verbringen, die uns möglichst rasch in die Ausgangssituation versetzen, bei der die Hochbegabungen beginnen. Deren Erlernen bedarf es allerdings einer intensiven pädagogischen Betreuung.

In unserer Zeit haben sich neben der klassischen Form des Einzel-Instrumentalunterrichtes eine Vielzahl an "Methoden" entwickelt, die sowohl auf Einzel, wie auch auf Gruppenuntericht bauen. Die Schulen von Suzuki (der ich großen Beifall entgegenbringe) und Rolland seien beispielsweise in diesem Zusammenhang genannt.
Darüberhinaus wird heute zunehmend der Spaß- und Experimentierfaktor beim Geigespielen in den Vordergrund gestellt und somit versucht, die anfänglichen Schwierigkeiten des Violinspiels auf unterhaltsame Art und Weise zu umgehen.

Eines sei hier jedoch ganz klar gesagt: Geigespielen ist in der Tat schwer für den Normal- und Minder-Veranlagten und neben der gewissenhaften Arbeit des Lehrers, egal nach welcher Methode, ist ein gehöriges Maß an Disziplin vom Schüler für tägliche Übungen aufzubringen, um mit der Geige anhörenswerte Töne zu produzieren. Diese sind Bestandteil und Voraussetzung egal welcher Methode, die zum Erfolg führen soll. Schulen und Methoden, die mit Spaß- , Erlebnis- und Kreativ-Angeboten über die Notwendigkeit des täglichen Übens hinwegtäuschen wollen, können und dürfen hinsichtlich eines sauberen Geigenspiels nicht ernst genommen werden. Aus dem gleichen Grund sind die, seit Bekanntwerden der Bastian-Studie über die Intelligenzsteigerung durch Musikausübung, aufkeimenden Bemühungen vieler Institutionen, Streicher durch alleinigen wöchentlichen Gruppenunterricht aus dem Boden stampfen zu wollen, vollkommen vergebens. Mögen unsere Kinder auch Spaß daran haben, vergessen Sie bitte vollständig, allein durch derartige Maßnahmen geigen zu lernen. Zu schwierig und kompliziert sind die dafür erforderlichen Bewegungsabläufe, als das daraus auf solche Art und Weise erträgliche Musik entstehen könnte. Umso mehr werden derartige Veranstaltungen das in der Bevölkerung zweifelos vorhandene Klischee der schief und schräg klingenden Geige nähren und somit das Potential des ernsthaft interessierten Nachwuchses weiter einschränken.

Ich hatte das Glück, während meiner Ausbildung in Prof. Baynov (Musikhochschule Trossingen) einem Schüler David Oistrachs zu begegnen, der mich in meiner Bevorzugung für die moderne russische Schule, wie sie an den Konservatorien von St Petersburg und Moskau gelehrt wird, entscheidend beeinflusst hat und dem ich durch das konsequente Umsetzen dieser Lehre meine heutigen Spielfertigkeiten verdanke. Wer daher in meine Schule kommt, wird nach modernem, russischen Vorbild, und möglichst einzelnd unterrichtet. Unterricht in Gruppen kann jedoch durch den gegenseitigen Ansporn durchaus sinnvoll sein, sofern die Schüler einer Gruppe zusammen passen.
In jedem Fall möchte ich eine frühzeitige Einbindung der Einzelschüler in eine zusätzlich von mir angeleitete Streichergruppe erreichen, in der das Gelernte eingebracht und das Klangempfinden gefördert werden kann. Im folgenden möchte ich einen kurzen Abriß der Stationen beschreiben, die ein durchschnittlicher Schüler während seines Unterrichts durchlaufen wird, damit sich der Interessierte ein Bild vom Werdegang eines Geigers in meiner Schule machen kann. Selbstverständlich wird sich in der Praxis ein fließenderer Übergang der Lernstationen ergeben, als hier aus Gründen der Überschaubarkeit willkürlich dargestellt ist.

gerade Bogenstriche wollen geübt sein Wenn wir über Geigespielen reden, meinen wir das musikalische Zusammenwirken von Geige und Streichbogen. Diese Präzisierung ist angebracht, weil die Kunst der Bogenbeherrschung vom Laien leicht übersehen wird. Ohne Bogen jedoch gibt es keinen Geigenton, darum beschäftigt sich so gut wie jede vernünftige Geigenschule und selbstverständlich auch ich zuerst mit der Erlernung der Bogenhaltung, deren sichere Beherrschung die Klangfähigkeit entscheidend beinflusst und daher von großer Bedeutung für unser späteres Spiel ist.

Ist diese sicher genug versucht der Schüler seine ersten Bogenstriche auf einer der vier Geigensaiten und erlernt den komplizierten Bewegungsablauf des Bogenstrichs, der letzlich zu einem makellosen Klang an jeder beliebigen Bogenstelle führen wird. Danach wird die Bogenführung um die Schwierigkeit des Saitenwechsels, also des Anstreichens unterschiedlicher Saiten während einer Tonfolge ergänzt.
Hier, wie auch im Folgenden gilt der Grundsatz, den nächsten Lernschritt erst hinzuzunehmen, wenn der vorhergehende so sicher ist, daß er keiner alleinigen Kontrolle mehr bedarf. Ein gewissenhafter Lehrer zeichnet sich insbesondere durch die Fähigkeit aus, diese Lehrschritte zu analysieren und ggf. in noch kleinere, für den Schüler zuträgliche Einheiten zu unterteilen und nie einen Schritt vor dem anderen zu machen.
Ist der Schüler in der Lage, über alle vier Saiten hinweg an verschiedenen Bogenstellen und mit verschiedenen Bogenlängen ordentliche Töne und Tonfolgen zu erzeugen ist ein erster wesentlicher Schritt geschafft. Ordentlich heißt hier in erster Linie: frei von unerwünschten Nebengeräuschen. Und das braucht bereits seine Zeit. Ein nicht unerheblicher Bestandteil dieses Elementarschrittes ist es, überhaupt die Sensibilität für unerwünschte Nebengeräusche zu wecken. Mit sauber klingenden Leersaiten lassen sich aber bereits durch Zusammenspiel schöne Akkordklänge und Melodiebegleitungen erzeugen, weshalb ich neben der Begleitung im Haupt-Unterricht möglichst ab jetzt die Zuordnung in geeignete Streichergruppen vornehmen möchte um Klangerlebnis und Klangempfinden zu steigern.

Erst wenn der Schüler über ein brauchbares Leersaitenspiel verfügt können wir uns der eigentlichen Geige zuwenden, deren Beachtung bisher lediglich auf eine ungezwungene Haltung zwischen Hals und Kinn beschränkt war. Über die geeignete Handhaltung lernt der Schüler verschiedene Tonhöhen mit den Fingern der linken Hand zu greifen. Weiterhin gilt es, unerwünschte Nebengeräusche, die nun auch von der mit der Fingerkuppe verkürzten Saite ausgehen, zu vermeiden.
Als große Schwierigkeit kommt nun jedoch das genaue Treffen einer bestimmten Tonhöhe mit dem Finger dazu. Dieses zu Anfang aussichtslos erscheinende Unterfangen gewinnt jedoch durch das Training einer Art "Schreibmaschinentechnik" allmählich Erfolg. Bei dieser Technik wird durch geeignete Handstellung, Fingerhaltung und Bewegungsabläufe ein Schema trainiert, daß ähnlich einer Schreibmaschinen- oder Klaviermechanik, trotz der fehlenden Tonmarkierungen auf dem Geigengriffbrett das halbwegs zielgenaue Treffen von Tönen zuläßt. Von der Exaktheit dieser Bewegungstechnik, deren Kontrolle im Elementarunterricht zumeist sträflich vernachlässigt wird, hängt der Erfolg des Violinspiels entscheidend ab. Parallel Exakte Fingerbewegungen sind  Vorraussetzung für die Treffsicherheit der linken Hand dazu unternehmen wir vom Ohr und der Fingerkuppe geführte Feinkorrekturen, die letzlich zum musikalisch exakten Abstand zweier Töne führen und unser geigerisches Gehör trainieren. Es werden entsprechend der unterschiedlichen Halbtonfolgen mehrere Griffarten unterschieden. Diese Technik erlernen wir an dafür ausgelegten Tonfolgeübungen. Zwischendurch erproben wir das Gelernte selbstverständlich immer wieder Schritt für Schritt an Melodien und Musikstücken, denn Musik ist ja das, was wir letztlich mit unserer Geige wollen.
Bitte unterschätzen sie deshalb trotzdem nicht die Notwendigkeit von Tonfolgeübungen. Musik weckt Emotionen und das ist etwas Wunderbares wenn wir über die Mittel verfügen, diese Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Verfügen wir aber noch nicht darüber, bringen uns genau diese Emotionen leicht ins Stocken und können Ursache verschiedenster Hemmungen werden. Darum ist es notwendig, sich mit Schwierigkeiten in Bewegungsabläufen isoliert zu beschäftigen um dann hinterher mit dem sicher Erlernten Musik machen zu können, genau so, wie der Tänzer Gymnastik treiben muß um die Figuren der Choreographie im Tanz mühelos hervorzubringen.
Es kann nicht genug betont werden, daß für ein befriedigendes Geigenspiel die Bewegungsabläufe des rechten Streicharms und der linken Greifhand unbedingt harmonieren müssen. Diese unterschiedlichen Bewegungsabläufe in einem Klang zusammenzubringen erfordert die ständige gegenseitige Anpassung bei allem was der Schüler neu hinzu lernt.

Die Grundschule des Greifens ist bewältigt, wenn der Schüler auf allen Seiten in einer, üblicherweise der untersten Lage (eine Lage ist ein Griffbrettbereich, der von allen Fingern ohne Handverschiebung bespielt werden kann) die darin vorkommenden Halbtöne sauber erklingen lassen kann. Darüberhinaus haben wir möglicherweise schon erste Versuche zur Tonveredlung, dem Vibrato, unternommen und haben uns experimentierfreudig in einer anderen Griffbrettlage umgesehen. Alles in allem nimmt dieser Schritt den größten Anteil des Elementarunterrichts für sich in Anspruch und nur wenige sind innerhalb eines Jahres bereits soweit.
Zusammen mit unserer nun schon ausgefeilteren Bogentechnik, die wir parallel zu unseren Greifübungen vorangetrieben haben, sind wir nun auch schon in der Lage, die meisten Lieder und viele kleine Musikstücke verschiedener Epochen auch namhafter Komponisten wie Bach oder Mozart zu spielen. Gerade mit entsprechender Begleitung im Ensemble oder mit Klavier sind diese Stücke bereits ein schönes Musikerlebnis und ich möchte in Bezug auf das Kapitel "Wer kann Geige spielen" behaupten, bis hierhin kann es jede musikalisch interessierte und anatomisch geeignete Person schaffen.

Obwohl wir auf diese Art und Weise Dreiviertel des gesamten Tonumfanges einer Geige hervorzubringen vermögen ist für eine höhere künstlerische Betätigung das Lagenspiel, bei dem durch griffbrettparallele Handverschiebung die erlernten Griffarten in andere Griffbrettlagen transponiert werden, unumgänglich. Nicht nur der hohen Töne wegen, die anders nicht zu erreichen sind, sondern vor allem, um einen bestimmten Ton in den unterschiedlichsten, dem Charakter der Musik entsprechenden Klangfarben erklingen zu lassen.
Um die Schwierigkeiten des Lagenspiels zu meistern ist eine solide Bogenführung und sichere Intonation (das sichere Treffen der erforderlichen Tonhöhen) Voraussetzung, da das schwierige Erlernen des Lagenspiels unsere ungeteilte Aufmerksamkeit erfordert. Hier geht es nämlich zusätzlich zur Treffsicherheit mit dem einzelnen Finger darum, mit der Handverschiebung eine Lage exakt zu treffen. Ohne ein bereits exaktes Gehör und ausgebildete Sensibilität in der linken Hand bzw. im linken Arm ist kein sauberer Lagenwechsel möglich , da die korrekte Lage ausschließlich durch Fühlung und Hören ermittelt werden kann. Ebenso wie für alle anderen Techniken des Violinspiels ist ein genaues Einstudieren der exakten Bewegungsabläufe beim Lagenwechsel entscheidend für das spätere Gelingen und die musikalische Nutzbarkeit in unseren Musikstücken. Nichts kann eine geigerische Leistung mehr beeinträchtigen als ein misslungener Lagenwechsel, da er eine krasse Intonationstrübung nach sich zieht. Jedoch stellt bereits das saubere Spiel innerhalb einer anderen als der zuerst erlernten Lage eine große Anforderung dar, da sich die Tonabstände auf dem Griffbrett zu unserem Körper hin kontinuierlich verkürzen.

Erst mit der Vervollkommnung des Lagenspiels werden wir uns so nach und nach an die anspruchsvolle Musikliteratur wagen. Hinzu kommt das mehrstimmige Spiel mit Doppelgriffen und immer raffiniertere Strichtechniken zur Erzielung besonderer musikalischer Effekte. Mit der sicheren Beherrschung der zumeist gebrauchten sieben Lagen, der gebräuchlichsten Strichtechniken und einem ordentlichen Vibrato ist die Phase des Erlernens der grundlegenden Violintechnik weitgehend abgeschlossen. Wir sind in diesem Stadium befähigt, uns der fortgeschrittenen Geigenliteratur zu widmen und in anspruchsvolleren Ensembles mitzuwirken. Wer nach etlichen Jahren hier angekommen ist, dem steht der Weg frei zu den großen Kompositionen der Violinliteratur. Es ist gewissermaßen der erste schwarze Meistergürtel erworben. Wie jeder Freund asiatischer Kampfsportarten weiß, gibt es dieser jedoch viele. Mit dem Einstudieren solcher Werke fängt daher das Geigenspiel auf hohem Niveau erst richtig an. Hier zeigt sich, ob der Studierende seine erlernte Technik beherrscht und damit jede, von der Musik geforderten Passage mühelos erklingen lassen kann.
Sofern wir nicht zu den Hochbegabungen des Violinspiels gehören wird uns allerdings das Konzertieren der anspruchvollsten Werke versagt bleiben, da jeder normal veranlagte Mensch irgendwo die individuelle Grenzen seiner technischen Möglichkeiten erreicht. Es lohnt trotzdem, sich mit ihnen zu beschäftigen.